Oldenburg, 25.7.2019 - Lange wollten es Bernd, Alexander und Sandra (Namen von der Redaktion geändert) nicht wahrhaben. Sucht war für sie kein Thema, obwohl sie regelmäßig zu viel Alkohol tranken oder Drogen konsumierten. Doch schließlich fanden sie den Weg in die Therapie. So erzählen sie es im Gespräch mit Suchttherapeutin Marita Kämmerer und Sozialarbeiterin Lena Leffers in der Fachklinik Weser-Ems. Genauer gesagt, sie gebärden. Denn Bernd, Alexander und Sandra sind gehörlos. Seit mehreren Wochen sind sie zur Therapie in Oldenburg. Dafür sind sie extra aus Berlin und Frankfurt am Main gekommen. Denn die Fachklinik Weser-Ems ist deutschlandweit die einzige Suchtklinik, die Therapie in Gebärdensprache anbietet. Derzeit sind dort sieben gehörlose Menschen in Therapie.
„Ohne dieses Angebot würden wir die Sucht nicht besiegen“, so deutlich formuliert es Alexander. Denn für die Therapie ist es wichtig, sich verständigen zu können. „Nicht nur mit den Therapeuten, sondern auch in der Gruppe“, betont Kämmerer. Der Austausch untereinander gibt das Gefühl, in dieser schwierigen Situation nicht allein zu sein. Gleichzeitig können sich die Patienten über ihre Erfahrungen austauschen. „In den Gesprächen geht es aber auch ganz viel um Gehörlosensozialisation und Gehörlosenkultur“, erzählt Kämmerer.
Was viele nicht wissen, auch in der Gebärdensprache gibt es Dialekte. Und so wird immer wieder über die unterschiedlichen Gebärden diskutiert. Für Kämmerer und Leffers ist das in der Therapie manchmal eine Herausforderung. Manche Worte müssen sie in verschiedenen Versionen gebärden. Besonders dann, wenn auch Patienten aus Österreich in der Fachklinik sind. Denn die Gebärdensprache ist auch von Land zu Land unterschiedlich.
Vieles muss wiederholt werden, bis alle es verstanden haben. Das ist einer der Gründe, warum sich Bernd wünschen würde, dass die Therapie für Gehörlose länger dauern würde. Ein weiterer Aspekt: Für gehörlose Suchtkranke ist es schwieriger, anschließend eine Selbsthilfegruppe oder eine passende Beratungsstelle zu finden. Gebärdensprachliche Angebote für gehörlose suchtkranke Menschen gibt es nur in wenigen Städten. „Die Nachsorge findet dann oft mit Dolmetschern statt. Aber es ist etwas anderes, wenn ein Gespräch über dritte läuft und somit eine Beziehung zum Therapeuten nicht aufgebaut werden kann“, weiß Kämmerer. Doch Bernd, Alexander und Sandra lassen sich nicht entmutigen. „Wir diskutieren in der Gruppe, ob es nicht möglich ist, online eine Selbsthilfegruppe aufzubauen“, erzählt Bernd. Denn alle sind entschlossen, ihr Leben ohne Suchtmittel weiter zu gestalten. Sie wissen allerdings auch, ohne Hilfe ist das nicht so einfach.
Umso glücklicher sind sie, dass die Therapie in Oldenburg genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Die Gruppen- und Einzelgespräche finden alle in Gebärdensprache statt. „Wir arbeiten gerne visuell“, sagt Leffers. Sie und Kämmerer informieren unter anderem über Krankheiten in Verbindung mit Alkohol und Drogen. „Für gehörlose Menschen ist es nicht so einfach, an Informationen zu kommen wie für Hörende“, sagt Kämmerer. So erlebt sie einen großen Wissensdurst bei den gehörlosen Patienten. Auch viele andere informative Angebote wie beispielsweise Stressbewältigung und Entspannung sind gebärdensprachlich angepasst. „Im autogenen Training, bei der progressiven Muskelentspannung und den Fantasiereisen wird langsam, fast schon meditativ gebärdet, damit die gehörlosen Patienten sich besser darauf einlassen können“, beschreibt Kämmerer. Bei der Klangschalentherapie erleben auch die gehörlosen Menschen die Schwingungen, die durch den Körper gehen, als sehr entspannend.
In anderen Veranstaltungen sind die Gehörlosen auch mit Hörenden zusammen. Etwa bei der Sport- oder Ergotherapie. Und der Kontakt zwischen Hörenden und Gehörlosen klappt gut. „Einige Hörende versuchen, auch etwas Gebärdensprache zu lernen“, berichtet Kämmerer. Es freut sie, dass so während der Therapie gegenseitige Berührungsängste abgebaut werden. Auch außerhalb der Therapiegruppen. Deshalb hängt auch eine Tafel mit dem Alphabet in Gebärdensprache im Flur bei der Cafeteria und im Gruppenraum der Gehörlosenstation, auf der auch eine hörende Gruppe untergebracht ist.
Für die Therapeutinnen macht es einen Unterschied, zu gebärden anstatt zu sprechen. „In der Gebärdensprache sind die Mimik und ein deutliches Mundbild sehr wichtig“, sagt Leffers. „Die Gruppen sind immer sehr lebhaft und sehr direkt. Das gehört eben auch zur Gehörlosenkultur“, ergänzt Kämmerer. „Hier wird nicht geschwafelt“, so fasste es eine ehemalige Patientin zusammen.
Infobox: Auch räumlich ist die Fachklinik Weser-Ems auf die Behandlung von Menschen mit Hörproblemen eingerichtet. Die Station für hörgeschädigte Patienten ist mit Lichtsignalanlagen ausgestattet. Die Wohnbereiche verfügen über Einzelzimmer mit Bad sowie über eine eigene Stationsküche für Patienten. Schwerhörige Patienten mit Resthörvermögen können mit Hilfe von FM-Anlagen an der Therapie teilnehmen. Die Gruppenräume sind mit Schallschutz versehen. Die Therapeuten sind gebärdensprachlich ausgebildet (DGS und LBG) und mit der besonderen Problematik hörgeschädigter Menschen vertraut.
Behandelt werden Alkohol- und Medikamentenabhängige (Behandlungsdauer in der Regel 12 bis 16 Wochen), Drogenabhängige (Behandlungsdauer bis zu 26 Wochen) und auch Spielsüchtige
Alle behandelnden Berufsgruppen arbeiten eng miteinander zusammen. Dadurch werden psychische, somatische und soziale Aspekte der Krankheit gemeinschaftlich erfasst und behandelt. Ziel ist das Leben ohne Suchtmittel.
http://www.fachklinik-weser-ems.de