Vom Bauernhof in die Jugendhilfe

Erstellt von Kerstin Kempermann |

Für sein duales Studium hat Thomas Rohlfs seinen landwirtschaftlichen Betrieb verkauft

Eggeloge/Bockhorn, 10.8.2020 –  Jugendhilfe statt Landwirtschaft, diesen großen Schritt ist Thomas Rohlfs gegangen. Und der 43-Jährige ist sich sicher, es war die richtige Entscheidung. Im Oktober 2019 hat er sein duales Studium Soziale Arbeit bei der Jugendhilfe Collstede begonnen. Seinen eigenen Hof mit Milchviehwirtschaft hatte er zuvor verkauft. „Wir hatten in der Familie eine Erziehungsstelle. Dadurch kam ich in Kontakt mit dem Thema Jugendhilfe“, erzählt Rohlfs. Und er bemerkte für sich: Die Arbeit mit den Jugendlichen macht viel zufriedener. Dazu kam, dass die Entwicklung in der modernen Landwirtschaft – immer größer werden zu müssen – Rohlfs nicht gefiel. Bei einem Sommerfest der Jugendhilfe Collstede entstand dann im Gespräch mit Einrichtungsleiter Jan Prassel die Idee, den Schritt in die Jugendhilfe tatsächlich anzugehen.

 

Seit Oktober ist Rohlfs nun drei Tage in der Woche in der therapeutischen Wohngruppe in Eggeloge im Einsatz. Dort leben acht Jungen zwischen zehn und 18 Jahren. Gemeinsam mit dem Team der Wohngruppe gehört es zu Rohlfs Aufgaben, die Kinder durch ihren Alltag zu begleiten und ihnen Struktur zu geben. „Eine geregelte Struktur ist für unsere Kinder und Jugendlichen besonders wichtig“, erzählt Rohlfs. Sie haben alle eine Autismus-Diagnose. Alltägliche Situationen, wie der Einkauf im Supermarkt oder ein Besuch beim Arzt bedeuten für die Jungen Stresssituationen. „Da ist es manchmal schon ein Erfolg, wenn es den Jugendlichen beim Arztbesuch gelingt, ruhig zu bleiben“, schildert Rohlfs.

 

Das notwendige Wissen für seine Arbeit erhält Rohlfs nicht nur im Austausch mit den Kollegen. Zwei Tage in der Woche sind dem Studium an der Berufsakademie Wilhelmshaven gewidmet. „Es ist toll, dass in der Theorie Erlernte gleich in der Praxis anwenden zu können. Und natürlich bringen wir auch Beispiele aus den Gruppen mit und lernen, was wir anders machen können“, sagt Rohlfs. Im Moment findet das Studium durch die Corona-Pandemie von Zuhause statt. Er hofft aber, bald wieder den direkten Austausch mit den Studien-KollegInnen zu haben. Mit 43 Jahren zur Uni zu gehen, ist für Rohlfs kein Problem. Er sieht es sogar sehr positiv. „Meine Lebenserfahrung hilft mir sehr. Ich weiß, dass es normal ist auch mal Fehler zu machen und dass es wichtig ist, aus diesen zu lernen.“

 

Die Lebenserfahrung hilft nicht nur ihm. Auch für das Team in der Jugendhilfe ist sie ein Gewinn. „Durch das duale Studium kommen viele Interessierte in die Jugendhilfe, die zuvor schon in einem anderen Bereich tätig waren. Das finden wir toll“, sagt Ole Martens, Bereichsleiter in der Jugendhilfe Collstede. Das wichtigste sei die Lust an der Arbeit mit den Jugendlichen. „Hier geben alle 110 Prozent. Das begeistert mich für diese Arbeit“, sagt Rohlfs.

 

Das war ist auch während der Corona-Pandemie so. „Es war eine Herausforderung, den Jugendlichen Sicherheit zu geben, während wir selbst natürlich auch unsicher waren und von Tag zu Tag reagieren mussten“, sagt Martens. Und Rohlfs betont: „Wie in den Familien war das Home Schooling natürlich auch in der Jugendhilfe eine Herausforderung.“ Gleichzeitig sieht er auch die positiven Aspekte. „Ich habe darüber für mein Studium auch eine Arbeit zum Thema Entschleunigung geschrieben. Viele unserer Jugendliche fanden es sehr entspannend, dass der Tag durch den Wegfall von Schule und Terminen deutlich ruhiger war.“ Und die freie Zeit wurde gut genutzt. Stolz zeigen Rohlfs und Martens eine mit Planen überspannte Höhle, die die Jugendlichen in dieser Zeit selbst gebaut haben. „Einige der Jugendlichen haben sogar in der Höhle übernachtet“, berichtet Rohlfs. Und dabei ist im anzumerken, er brennt für seine neue Arbeit und hat es nicht bereut, die Tradition der Landwirtschaft, die in seiner Familie immerhin seit dem 17 Jahrhundert bestand, zu beenden.  

 

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