Wo Kinder in Not sind, sind meist auch Eltern in Not

Erstellt von Kerstin Kempermann |

Angela Könnecke berichtet über ihre 34 Jahre lange Arbeit im Kinderschutz-Zentrum – In ihrer Laufbahn war sie in verschiedenen Arbeitsfeldern des Kinderschutzes tätig.

Im Interview berichtet Angela Könnecke über ihre Arbeit im Kinderschutz-Zentrum in Oldenburg. Alle aktuellen Informationen zum Kinderschutz-Zentrum finden Sie auch im Jahrebericht für das Jahr 2023. 

 

Frau Könnecke, Sie haben 34 Jahre lang beratend und therapeutisch im Bereich Kinderschutz gearbeitet. Aus ihrer Sicht: Wie hat sich der Umgang mit dem Thema Kinderschutz in dieser Zeit geändert?

 

In den 34 Jahren hat sich unfassbar viel verändert. Immer wieder haben wir im Kinderschutz-Zentrum   innovativ und konzeptionell auf die verändernden Anforderungen reagiert. In den ersten Jahren mussten wir Jahr für Jahr um unsere Finanzierung kämpfen und jedes Jahr wieder begründen, warum unsere Arbeit so wichtig ist. Inzwischen ist allen (auch den Geldgebern) klar, welch große Bedeutung der Kinderschutz, die frühen Hilfen für Familien, die Prävention, Fachberatung und Fortbildung für Fachkräfte haben. Wir sind also nicht mehr wegzudenken.

 

Aber zurück zu den Anfängen. Sie haben 1989 in der Vertrauensstelle Benjamin angefangen. Können Sie erzählen, wie die Arbeit damals aussah?

Als ich vor 34 meine Arbeit in der Vertrauensstelle begann, wurde die Beratungsarbeit von ganz vielen Ehrenamtlichen, zum Beispiel Ärzt*innen, Psycholog*innen und Krankenschwestern durchgeführt. Damals haben wir auch noch Hausbesuche gemacht. Ich wurde eingestellt, um die Arbeit der Ehrenamtlichen zu koordinieren und die ersten Gespräche zu begleiten. Eine psychosoziale Beratung für Familien mit Gewaltproblematiken war damals nicht selbstverständlich. Aber es gab einen großen Bedarf. Das zeigte sich daran, wie stark das Angebot der Vertrauensstelle Benjamin nachgefragt wurde. Mit dem Anstieg der oftmals sehr komplexen Fälle von sexueller Gewalt wurde schnell klar: diese herausfordernde Arbeit kann nicht ehrenamtlich, sondern muss durch ein multiprofessionelles Team von Hauptamtlichen geleistet werden

 

1994 erfolgte die Erweiterung der Vertrauensstelle zum Kinderschutz-Zentrum Oldenburg. Was hat sich damals für Sie in der Arbeit geändert?

Das war eine besondere Zeit. Unsere fachliche Kompetenz war im Ministerium in Niedersachsen schon vorher anerkannt, sodass die damalige Ministerin Waltraud Schoppe plante, uns  - neben Hannover – als zweites Kinderschutz-Zentrum in Niedersachsen zu unterstützen. Voraussetzung war die Bereitstellung einer Wohngruppe zur Inobhutnahme von Kindern nach dem Konzept des ersten Kinderschutz-Zentrums in Berlin. Nach intensiven Verhandlungen mit den umliegenden Jugendämtern errichteten wir (der Trägerverein) eine Wohngruppe für Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren im Dohlenweg in Oldenburg. Das Team der Vertrauensstelle arbeitete sowohl mit den Kindern, als auch mit den Eltern/ Familien. Nachdem, insbesondere die Stadt als Hauptbelegerin der Wohngruppe die Inobhutnahme jüngerer Kinder auf Bereitschaftsfamilien umstellte, musste leider nach einigen Jahren die Wohngruppe geschlossen werden – sie war schließlich nicht mehr finanzierbar.

 

Mit der Zeit hat sich der Fokus der Arbeit im Kinderschutz-Zentrum immer mehr auf die Fachberatung und die Fortbildung von Pädagog*innen verlegt. Diese Aspekte sind mir auch persönlich sehr wichtig, gleichzeitig habe ich es als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, bedauert, dass die Arbeit mit Kindern und Familien reduzieren zu müssen.

 

Sie haben den Bereich Fortbildung im Kinderschutz-Zentrum mit aufgebaut. Warum ist dieser Bereich so wichtig?

Mit Fortbildungen zum Kinderschutz erreichen wir sehr viele Fachkräfte aus unterschiedlichen pädagogischen und therapeutischen Arbeitsfeldern. Diese sind oftmals wichtige die Brückenbauer*innen für die von Gewalt betroffenen Kinder und Eltern und können diesen den Zugang zum Hilfe-System ermöglichen. Wichtig ist mir, die Fortbildungen sehr praxisorientiert und methodisch vielfältig zu gestalten, mit dem Ziel, den Fachkräften mehr Sicherheit zu geben. Es gibt inzwischen sehr klare Handlungsabläufe und diese können wir im konkreten Fall dann auch durch eine Fachberatung als „insoweit erfahrene Fachkräfte“ begleiten.

Relevant ist, dass Pädagog*innen z.B. in Kitas und Schulen und andere Fachkräfte wahrnehmen, wenn sich ein Kind verändert, Auffälligkeiten zeigt oder sich zurückzieht und damit evtl. Notsignale sendet. Dahinter können dann ganz verschiedene Gründe stecken. Dann ist es wichtig in den Austausch zu gehen und zu schauen, was braucht das Kind, die Familie. Denn wo Kinder in Not sind, sind fast immer auch Eltern in Not.  Wenn sie frühzeitig Unterstützung und Stärkung erfahren, kann oft eine Eskalation verhindert werden. Deshalb ist das Motto des Kinderschutz-Zentrums ja auch vertrauen- schützen –stärken, denn wir stärken auch die Fachkräfte durch unsere Fortbildungen und Fachberatungen.

 

Warum haben Sie sich für die Arbeit im Bereich Kinderschutz entschieden?

Im Bereich Kinderschutz zu arbeiten war eine ganz bewusste Entscheidung. Vorher war ich in einer Wohngruppe mit Jugendlichen tätig, die alle Gewalterfahrungen hatten. In dieser Zeit ist der Wunsch entstanden. Ich habe mich zunächst bei Wildwasser in Oldenburg engagiert und bekam 1989 die Stelle in der Vertrauensstelle Benjamin. Und dann bin ich tatsächlich 34 Jahre geblieben. In dieser Zeit wurde es keineswegs langweilig, denn die Schwerpunkte meiner Arbeit veränderten sich. In den ersten Jahren lag der Fokus in der Beratung und psychosozialen Unterstützung von Familien und prozessdiagnostischer Arbeit mit Kindern. Dann folgten einige Jahre Präventionsarbeit an Grundschulen mit dem Modellprojekt „Ich bin ich – du bist du – und das sind wir“ gemeinsam mit Michael Herschelmann. Dies erfreuliche Arbeit mit reduzierter Stundenzahl passte sehr gut zu meiner Situation als Mutter mit Kleinkind. Danach ging ich zurück ins Beratungsteam. Und da es für das Kinderschutz-Zentrum immer wichtiger wurde einen finanziellen Eigenanteil zu erwirtschaften entschloss ich mich, neben Beratung und Fachberatung den Fortbildungsbereich auszubauen.

 Sie hören und erleben in ihrer Arbeit viele Fälle von Gewalt gegen Kindern. Wie hält man diese Arbeit persönlich aus?

Entscheidend ist eine gute Fachlichkeit und Professionalität, gestützt durch eigene Fort – und Weiterbildungen. Mindestens genauso wichtig ist aber auch der fachliche Austausch im Team und die Unterstützung durch die Supervision. Natürlich gab es in den 34 Jahren Fälle, die mich persönlich sehr bewegt haben. Für mich war die richtige Strategie dann immer, in den Austausch zu gehen und gut für meine eigene Psychohygiene zu sorgen. Selbstfürsorge ist in stressigen und herausfordernden Berufen sehr wichtig. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir im Team im Kinderschutz-Zentrum auch ein Schutzkonzept für uns selbst entwickelt haben.

 

Gibt es eine besondere Geschichte, ein Erlebnis, dass Ihnen im Kopf geblieben ist?

Natürlich bleiben einige Schicksale im Kopf, die besonders schwerwiegend und auch belastend waren. In den allermeisten Fällen war und ist unsere Arbeit mit Familien erfolgreich, also hilfreich und stärkend mit neuen Perspektiven. Selten – aber auch das kommt vor – brechen Eltern den Kontakt ab, was sehr frustrierend ist und dann weitere Schritte erforderlich machen kann. Beeindruckt und berührt hat es mich, wenn inzwischen Erwachsene, die ich als Kinder therapeutisch begleitet habe, nochmal den Kontakt zu mir gesucht haben. Eine junge Frau wollte mehr über die Situation erfahren in der sie damals als Dreijährige (innerfamiliale sexuelle Gewalt) war. Andere waren nun selbst junge Eltern in herausfordernden Bedingungen und erinnerten sich, wie hilfreich damals die Beratung ihrer Familien war.

 

Was hat Sie so lange motoviert, in diesem Bereich zu arbeiten?

Wenn ich auf die Zeit zurückblicke weiß ich, dass ich eine sehr sinnvolle und auch politisch wichtige Arbeit geleistet habe. Sowohl in der direkten Arbeit mit den Familien, als auch in der erfolgreichen Fortbildungsarbeit. Und natürlich hat auch das großartige Team dazu beigetragen lange zu bleiben!

Neben Entspannung und Zeit für viel Schönes freue ich mich sehr, dass ich auch als Rentnerin und Minijobberin weiterhin Fortbildungen für das Kinderschutz-Zentrum geben werde

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